2022_11_15_Reichskristallnacht1.jpg

Gedenkfeier zum 9. November am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus

15/11/2022

Die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 ist ein schwarzes Datum in der deutschen Geschichte: Initiiert und organisiert von den Nationalsozialisten, kam es in dieser Nacht im gesamten Deutschen Reich zu Gewaltmaßnahmen gegen den jüdischen Teil der Bevölkerung: Menschen wurden misshandelt und ermordet, Synagogen, Geschäfte, Kinder- und Altenheime gestürmt, geplündert und niedergebrannt.

Auch in Kerpen erinnert man seit vielen Jahren an diese bedrückenden Ereignisse. Die diesjährige städtische Gedenkfeier am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus beim Kerpener Friedhof wurde wesentlich mitgestaltet von Schüler:innen des Europagymnasiums: dem Geschichte-Zusatzkurs der Q2 von Markus Potes, dem Popchor unter der Leitung von Judith Schrötter-Scheufens sowie einem kleinen Instrumentalensemble (Arrangement und Einstudierung: Ralph Paland).

[#gallery view:gallery path:/medien/2022-2023/2022_11_15_reichskristallnacht/]

Eröffnet und beendet wurde die Veranstaltung vom stellvertretenden Bürgermeister Addy Muckes. Er erinnerte zunächst an die historischen Ereignisse und auch an die Manipulationen der Nationalsozialisten, die den gewalttätigen Ausschreitungen vorausgingen, und plädierte dann dafür, als Lehre aus der Vergangenheit in unserer eigenen Lebenswelt ein offenes Miteinander der Kulturen zu realisieren.

Im Anschluss an das Grußwort des stellvertretenden Bürgermeisters folgten verschiedene Wort- und Musikbeiträge von Schüler:innen des Europagymnasiums: So hatte der Geschichte-Zusatzkurs der Q2, angeleitet und begleitet vom Geschichtslehrer Markus Potes, im Unterricht anhand von Quellen aus dem Stadtarchiv erforscht, wie die November-Pogrome 1938 in Kerpen verlaufen waren – und auch, wie mit dem damals geschehenen Unrecht nach dem Untergang des sogenannten „Dritten Reichs“ in der jungen Bundesrepublik Deutschland umgegangen worden war. In ihren Beiträgen präsentierten die Oberstufenschüler:innen nun einige Ergebnisse ihrer Recherchen, durch die die damaligen Ereignisse aus der historischen Distanz auf einmal sehr nahe an die eigene Erfahrungswelt rückten – denn auch hier bei uns in Kerpen war es ja zu Gewaltakten gekommen. Kenntnisreich berichteten Mustafa Gökmen, Alexander Lingmann und Marie Niggenaber von den örtlichen Aktionen gegen Juden, die hier maßgeblich ausgerechnet von einem Kerpener Volksschullehrer vorangetrieben worden waren, und konnten die Vorgänge unter anderem anhand von schriftlichen Anweisungen veranschaulichen, die die örtliche Gestapo damals für den Umgang mit den Juden erlassen hatte. In einem weiteren Beitrag machten Alicia Joo und Leandra Marquard deutlich, dass die Aufarbeitung der Pogromnacht auch noch in der Nachkriegszeit aufgrund personaler Kontinuitäten eher behindert als befördert worden war – so etwa, wenn ausgerechnet der städtische Sachbearbeiter, der im Nazi-Regime für die Inventarisierung des enteigneten jüdischen Eigentums verantwortlich gewesen war, später in der Bundesrepublik die materielle Entschädigung der Kerpener Juden betreute.

Umrahmt wurden die Beiträge des Geschichtskurses von zwei Liedern jüdischer Komponistinnen, die der Popchor unter der Leitung von Judith Schrötter-Scheufens und begleitet von Annika Jablonski (Flöte) und Kayden Müssel (Violine) aus dem Grundkurs Musik der Q1 sowie dem Musiklehrer Ralph Paland (Klavier) mit Engagement und Sensibilität vortrug – Liedern, denen das Leiden der Verfolgten musikalisch eingeschrieben war: Den Anfang machte das traurig-schöne „Wiegala", dessen erschütternden Entstehungshintergrund die Chorsängerin Mia Heinemann (Klasse 8.8) einleitend erläuterte: Die jüdisch-tschechoslowakische Dichterin Ilse Weber hatte dieses Wiegenlied für die Kinder einer Krankenstation im Konzentrationslager Theresienstadt komponiert, und mit diesen Kindern stimmte sie es ein letztes Mal an, als sie am 6. Oktober 1944 gemeinsam in die Gaskammer des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau geschickt wurden. Das Schlussstück der Veranstaltung, das populäre Lied „Jeruschalajim schel Sahav" der israelischen Sängerin Naomi Schemer, setzt der Erfahrung von Tod, Verfolgung und Vertreibung die Hoffnung auf ein neues, freies Leben in der „goldenen“ Stadt Jerusalem entgegen. In Kerpen erklang es in einer deutsch-hebräischen Fassung, die der Schulchor im Wechsel mit der renommierten, in Israel geborenen Sängerin Shuli Grohmann sang, Zwischen den beiden Chorstücken trug Grohmann, ihrerseits die Tochter einer Überlebenden der Shoa, noch das Sololied „Undzer shtetl brent" vor; darin hat der jüdisch-polnische Dichter und Komponist Mordechai Gebirtig, der 1942 von deutschen Soldaten erschossen wurde, eigene Erfahrungen bei nationalsozialistischen Judenpogromen verarbeitet. Nur von archaisch-herben Klängen der Flöte und Violine begleitet, gestaltete die Sängerin hier einen ergreifenden Klagegesang.

Und so verbanden sich bei dieser Gedenkfeier vor dem eindrucksvoll beleuchteten Mahnmal des Kerpener Künstlers Hermann Josef Baum Worte und Klänge, historischer Rückblick und künstlerisches Eingedenken zu einem eindringlichen Appell an uns alle, derartige menschenverachtende Aktionen niemals mehr zuzulassen.

Wird geladen